Kürzlich wurde ich wieder an die beiden erinnert, und ich erinnere mich sehr gerne an sie: Laki Dobridis und seine Frau Anna Maria, seine große Liebe.
Ich möchte hier die Geschichte erzählen, von einem ganz besonderen Buch, das ich mit ihnen und für sie machte. Und wenn ich einen Titel für diese Geschichte finden sollte, dann würde sie „Die Glücksfee“ heißen.
An einem Februartag 2013 sah ich Anna Maria Dobridis zum letzten Mal. Sie hatte mich gebeten, zu ihr auf die Palliativstation des Konstanzer Krankenhauses zu kommen. Sie konnte kaum mehr sprechen, aber eins wollte sie mir noch sagen: Ich solle die schönsten ihrer Gemälde zu einem Buch zusammenfassen, zusammen mit ihrem Mann. Mit ihrem Mann hatte sie es schon besprochen: Dieses Buch sollten all ihre Freunde und alle Menschen, die sie durch ihr Künstlerinnen-Leben begleitet hatten, zu Weihnachten bekommen. Denn unsere Bücher erinnern an uns, auch noch über den Tod hinaus.
Wie das Buch werden sollte, das überließ sie uns. Sie wünschte lediglich, dass ihr Gemälde „Die Glücksfee“ das Cover zieren sollte.
Fünf Tage später starb sie.
Von Laki Dobridis hörte ich nichts bis zum August. Dann war er so weit, und wir konnten beginnen.
Wir wählten zusammen die schönsten Bilder aus. Er erzählte mir von ihr.
Er erzählte von ihrer ersten Begegnung.
Da war sie fünfzehn gewesen und er zweiundzwanzig. Er hatte seine Eltern auf einem Spaziergang begleitet, in Köln, wo sie lebten. Die Familie, griechischer Nationalität, lebte ja ursprünglich in Istambul, doch als er noch ein Baby gewesen war, begann der Krieg zwischen der Türkei und Griechenland, und sie alle verließen von einem Tag auf den anderen fluchtartig das Land und wählten Deutschland, wählten Köln zu ihrem neuen Wohnort.
Er ging mit den Eltern spazieren, und da saß auf einer Bank eine andere griechische Familie, ein Ehepaar mit Tochter. Die Eltern kannten sich, man blieb stehen und unterhielt sich. Das Mädchen sah ihn immer wieder an. Und er spürte, wie ihm seltsam warm wurde ums Herz.
Als sie sich wieder verabschiedet hatten, sagte das Mädchen, Anna Maria, zu ihren Eltern: „Das ist der Mann, den ich heiraten werde“.
Ein paar Jahre passierte nichts. Dann begegneten sie sich zufällig wieder. Sie verliebten sich. Sie heirateten. Sie waren verliebt, und sie blieben es, bis sie mit 84 Jahren starb. Und er war, glaube ich, verliebt in sie bis zu seinem Tod, im vorigen Winter, hundert Jahre und ein paar Monate alt.
Das waren die Malerin, deren Buch ich machen sollte, und der Mann, mit dem zusammen ich es machen sollte. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass das etwas Besonderes war für mich.
Ich möchte Sie gar nicht damit langweilen, zu erzählen, wie wir das Buch konzipierten, wie Laki Dobridis die Bilder auswählte und ich sie einscannte und darauf achtete, dass die Farben stimmten, wie ich aus den Geschichten, die er erzählte, die Texte schrieb.
Es brauchte viel Zeit, dieses Buch zu machen, denn für ihn war es mehr als ein Buch. Die Trauer wurde leiser, während wir an ihm arbeiteten, und seine Frau wurde wieder lebendig. Ihr Lachen. Ihre Liebe. Dass sie immer in der Nacht gemalt hatte. Gemeinsame Bälle, gemeinsame Theaterbesuche. Dass sie ihm das Versprechen abgenommen hatte, täglich seine Liegestütze und Kniebeugen zu machen, um sich fit zu halten (er war damals 91), und dass er das jeden Tag machte, aus Liebe zu ihr.
Das letzte Mal, als ich mit ihm telefonierte, das war an seinem hundertsten Geburtstag. Da übte er immer noch seine Liegestütze, weil er es seiner Frau versprochen hatte.
Das Buch wurde im November 2013 fertig, und Laki Dobridis schickte es in die ganze Welt. Nach Italien, nach Griechenland, in die USA – überall dorthin, wo sie Freunde hatten.
Auf dem Titel, auf hellgoldenem Hintergrund: Das Gemälde „Die Glücksfee“.
„Es ist auch mein Lieblingsbild“, sagte Laki Dobridis zu mir, als ich ihm die Kartons mit den gedruckten Büchern brachte. „Und meine Glücksfee – das war immer sie.“
Man kann sehr berührende Dinge erleben, wenn man Bücher schreibt.
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